Potosi

und der härteste & gefährlichste Job der Welt!?

Nach relativ kurzen 4 Stunden kommen wir pünktlich mit dem Bus in Potosi an und nehmen uns ein Taxi zu unserer vorgebuchten Unterkunft. Leider finden wir sie nicht auf Anhieb, der Taxifahrer kennt sie nicht und mehrere Passanten schicken uns erstmal in die falsche Richtung. Eine Dame aus der Touristenbranche weißt uns dann, nachdem uns der Taxifahrer rausgeschmissen hat, endlich den richtigen Weg. Die Freude es gefunden zu haben, währt jedoch nur kurz, denn es ist außer einem Gast kein Mensch in dem Gewölbe. Obwohl wir das Zeitfenster zwischen 13-14 Uhr ziemlich genau angegeben haben, ist einfach kein Check-In möglich. Nach 15 Minuten im kalten und modrig riechenden Gewölbe fällt die Entscheidung eine neue Bleibe zu suchen. Ulrike macht sich auf den Weg während Simon die ehrenvolle Aufgabe übernimmt, das Gepäck zu bewachen. Keine halbe Stunde später ist Ersatz gefunden, zum Glück nur wenige Meter weiter und dazu noch günstiger und schöner. Auf die Stornierungsemail kam nie eine Antwort…war wohl ein Geisterhaus…

Da wir uns nun auf über 4000m Höhe befinden, wird es nach Einbruch der Dunkelheit knackige 8 Grad kalt! Da hilft nur einzwiebeln mit allem was da ist, genauer gesagt 5 Decken im Bett im nicht isolierten Haus. Die Bolivianer tragen alle mehrere Schichten Klamotten, draußen sowie natürlich in den kalten Häusern drinnen…da kam die nicht unberechtigte Frage einer Mitreisenden auf: „Wie machen die eigentlich Kinder in der kalten Bude mit X Schichten Klamotten?“.😂 Uns wärmt an diesem Abend die brodelnde Lavasteinsuppe „Karapulca“, eine regionale Suppe auf Maisbasis, auf. Durch einen Lavastein in der Suppe raucht und sprudelt die Suppe sensationell!

Auch den auf ca. 60% reduzierten Sauerstoffgehalt merkt man jetzt mit jedem Schritt. Es sollen die höchstliegenden Nächte der bisherigen Reise sein und wahrscheinlich auch bleiben….einfach zu kalt! Nach einem ziemlich bescheidenem bolivianischem Frühstück erkunden wir heute einfach die Stadt mit ihren unzähligen Kirchen und Kathedralen. Leider ist nur recht viel geschlossen, da Sonntag ist. Zum Glück hat jedoch unser ausgewählter Tourenanbieter offen, um eine Tour in die berüchtigten Silberminen von Potosi zu organisieren. Der Guide spricht einwandfrei Englisch und so buchen wir die Tour für den nächsten Tag, Sonntags wäre dort eh nichts los.

Ganz entspannt geht’s am nächsten Tag um 10 Uhr los. Lediglich ein anderes Pärchen aus Urugay ist mit an Bord des Busses, die jedoch einen Spanisch sprechenden Guide haben. So haben wir mal wieder eine Privattour. Der erste Stopp ist der „Mercado de Mineras“. Hier bekommt man alles was das Minenarbeiterherz höher schlagen lässt und für den Abbau gebraucht wird. Die in Kooperativen zusammengeschlossenen Minenarbeiter sind selbstständig und und müssen sich daher selbst ausstatten: Bekleidung, Helme, Lampen, Schaufeln, 96%igen Alkohol, Dynamit und vieles mehr. Dynamit? Richtig! Hier kann JEDER ohne irgendwelche Lizenzen und Genehmigungen einfach Dynamit kaufen, der einzige Ort auf der Welt an dem das legal möglich ist. Ein sogenanntes „Completo“ besteht aus Dynamit, Zündschnur und Verstärkerladung und kostet nur 20 BOB / 2,50 Eur! Es ist üblich den „Mineras“ ein paar kleine Geschenke mitzubringen, da sie uns ihren Arbeitsplatz hautnah erleben lassen. Und so nehmen wir neben Dynamit ein paar Flaschen Softdrinks für die schweißtreibende Arbeit mit. Freitags wäre eher Hochprozentiges angebracht. Ein alter Mann sitzt am Straßenrand und verkauft Schweineköpfe…sehr bizarrer Markt…

Im Bekleidungsdepot werden wir mit allem Nötigen ausgestattet, was für die Begehung der Mine nötig ist. Eine halbe Stunde später stehen wir nochmal 500m weiter oben auf dem Montaña „Cerro Rico“, übersetzt Reicher Berg, direkt vor dem Eingang einer der Minen. Die ersten bis zu 2 Tonnen schweren Gleisschütten mit Geröll kommen uns draussen entgegengeschossen, alles nur per Muskelkraft von 2-3 Arbeitern angetrieben.

Nun heißt es aber Licht an und ab in den dunklen Stollen. Die ersten paar Hundert Meter sind noch relativ geräumig, wir müssen nur immer mal wieder den Gleischütten seitlich ausweichen, denn wenn diese einmal rollen, dann rollen sie! Die Arbeiter hüpfen dabei immer mal wieder hinten drauf, um ein paar Meter mitzufahren bevor sie wieder anschieben. Unser Guide übergibt ihnen bei rasender Geschwindigkeit die Softdrinks.

Umso tiefer wir in die Mine eindringen, umso enger und verwinkelter werden die Gänge. Für Klaustrophobige oder generell ängstliche Persönlichkeiten, ist das hier definitiv nichts. Zudem sollte man körperlich recht fit sein, denn wir befinden uns immerhin auf 4500m Höhe, es ist warm, die Luft ist extrem staubig und das gebeugte und gehockte Gehen super anstrengend. Das der gesamte Berg, der durchlöchert ist wie ein Schweizer Käse, einsturzgefährdet ist und bereits über 8 Millionen Menschenleben seit Beginn des Abbaus im 17 Jh gefordert hat, gibt der Psyche ordentlich Futter. Die fragwürdigen, wenig vorhandenen alten Stützbalken, wecken nur wenig Vertrauen. Sicherheitsvorkehrungen jeglicher Art sind schlicht nicht vorhanden.

Bei einer Verschnaufpause in einem etwas größerem Raum, erzählt unser Guide die Geschichte des Bergs, über die harten Arbeitsbedingungen und die Kultur der Mineros. Außerdem sitzen wir neben „El Tio“, einer großen rituellen Teufelsfigur, die liebevoll „der Onkel“ genannt wird. Er wird verehrt, geschmückt und mit hochprozentigem Alkohol überschüttet ganz im Sinne von „Pachamama“, Verehrung von Mutter Erde der indigenen Völker. Plötzlich knallt es, die Explosionen von Dynamit sind in der Ferne zu hören und der dumpfe Bass zieht uns durchs Mark. Das ist kein Scherz und dies ist keine stillgelegte „Touristenmine“, sondern der Arbeitsplatz vieler Potosianer. Wir lauschen bei düsterer Atmosphäre den Infos unseres Guides und ein paar Facts möchten wir mit euch teilen.

Im Cerro Rico arbeiten 15000 Mineros verteilt auf 400 Minen und über 100km Stollen. Frauen arbeiten nur Außerhalb der Stollen. Die jüngsten Arbeiter sind 14, ja Kinderarbeit ist offiziell verboten doch kontrolliert das hier keiner. Und wer soll schließlich das Brot für die Familie verdienen, wenn der Papa sein Leben in der Mine gelassen hat?! Die Minen sind aufgeteilt auf 12 Kooperativen. Bergarbeiter, meist Gruppen aus 3-15 zusammen gefundenen Personen oder Familien kaufen Bereiche in den Minen und zahlen eine Gewinnbeteiligung an die Kooperative sowie Steuern an den Staat, je nach Erlös. Die Arbeiter agieren selbstständig und bestimmen über Arbeitszeit und Vorgehensweise. Es gibt eine Hierarchie, 1st Class Miner (10 Jahre Erfahrung) bis 3rd Class Miner (Neueinsteiger) und daran orientieren sich auch die aufgeteilten Erlöse des Abbaus. Das Gehalt eines guten Mineros beträgt ca. 500 Euro im Monat und damit 3x mehr als der Durchschnitt eines Arbeiters in Potosi. Die Arbeiter essen in den Minen nicht, teilweise sogar 12 Stunden oder mehr, denn die Nahrung wäre mit giftigem Staub kontaminiert. Um die harte Arbeit bewältigen zu können und den Hunger zu unterdrücken, werden große Mengen Coca-Blätter gekaut. Sie liefern Energie und betäuben die Schmerzen. Werkzeuge und Zubehör werden aus eigener Tasche gezahlt und außer Presslufthammer und Bohrer gibt es keine andere technische Hilfsmittel. Die Hauptabbauprodukte sind Silber, Zink, Zinn, Blei und Kupfer und werden von den Mineros in Säcken mit rund 50kg durch die engen Gänge geschleppt. Anschließend können die Abbauprodukte mit Hilfe der bis zu 2 Tonnen schwer beladenen Gleisschütten nach draußen befördert werden.

Eine Dynamitladung sprengt ein Loch von ca. 60cm in den Fels, die Zündschnur brennt 3 Minuten und somit kann der „Sicherheitsabstand“ von 40 Metern eingehalten werden. Der Berg ist durch die ganzen Tunnel jedoch bereits von 5000m auf 4700m abgesackt und ist permanent einsturzgefährdet. Die Regierung wollte den Bergbau aufgrund der hohen Einsturzgefahr bereits einstellen, ex-Präsident Evo Morales hat dies jedoch verhindert. Der Ort Potosi würde sich ohne Bergbau in eine Geisterstadt verwandeln, da es kaum noch Arbeitsplätze geben würde. Seit dem 15. Jahrundert sind ca. 8 Millionen Menschen im Zusammenhang mit dem Bergbau in Potosi ums Leben gekommen. Heutzutage sind es immerhin noch ca. 50 Mineros pro Jahr, die durch Unfälle umkommen. „Wir essen die Mine und die Mine isst uns!“ Wer nicht durch Unfälle stirbt, hat jedoch mit 45-55 Jahren keine lange Lebenserwartung und viele erkranken an der Lungenkrankheit Silikose (Quarzstaublunge). Obwohl man sich dieser Tatsache bewusst ist, trägt niemand einen Atemschutz trotz des giftigen Staubs. Mit Mundschutz wäre das Atmen in der Mine kaum möglich.

Freitags wird besonders viel getrunken und El Tio rituell mit Alkohol und Zigaretten beschenkt, um seine Gunst für sicheres Arbeiten zu erlangen. Ein anderes glückbringendes Ritual ist es, im Juni zur Sommersonnenwende Lamas zu schlachten, die Mineneingänge mit deren Blut zu bespritzen und das Fleisch anschließend beim BBQ zu verzehren. Kopf und Eingeweide werden verscharrt, als Geschenk für Pachamama, Mutter Erde. Klingt brutal, gehört aber zur Kultur der indigenen Bevölkerung dazu.

Nachdem wir wieder etwas zu Atem gekommen sind geht’s weiter und vor allem wird es noch viel beklemmender. An manchen Stellen fragen wir uns tatsächlich, ob der liebe Guide uns verarschen will…nein will er nicht, er zeigt uns nur den Alltag hier drin. Wir rutschen durch schmale Schächte aus losem Sand und Geröll in die Tiefe, nicht breiter als der Umfang eines Gullideckels und müssen dort später auch wieder hochkriechen. An anderen Abschnitten geht es nur kriechend vorwärts, sogar unser kleiner Rucksack muss vorneweg geschoben werden, so schmal ist der Durchgang. Hier und da ein kleiner Balanceakt auf einem Balken über 7m Abgrund oder Abseilen an besonders steilen Kanten bleibt uns auch nicht erspart. Immer wieder treffen wir auf Arbeiter und schauen ihnen eine Weile bei der schweißtreibenden Arbeit zu. Wir beobachten zwei Mineros beim Bohren von Löchern fürs Dynamit, da kommt unser Geschenk grad gelegen. Einmal schalten wir alle Helmlampen aus und es wird klar, kein Licht bedeutet Tod hier drin, denn es ist das dunkelste Schwarz was man sich nur vorstellen kann…die Stimmung ist gedrückt, eine Mischung aus Adrenalin und purer Fassungslosigkeit.

Nach guten 2,5 Stunden kehren wir gebeutelt und geflasht an die Oberfläche zurück und sind wirklich froh darüber. Die Augen müssen sich erstmal wieder an das gleißende Sonnenlicht gewöhnen. Wir sind froh wieder draußen zu sein!

Wir sind zu tiefst beeindruckt und traurig, unter welchen Umständen, Bedingungen und Gefahren die Menschen hier ihren Lebensunterhalt bestreiten. Für viele der Stadbewohner ist dies die einzige und beste Option Geld zu verdienen, es ist Fluch und Segen zu gleich. Die Einheimischen sagen: „Wir essen den Berg und der Berg isst uns.“ Zudem bringt es zusätzlich ein paar Tourismuseinnahmen. Allein die Tatsache, 12 Stunden keine Nahrung zu sich zu nehmen bei dieser extremen körperlichen Arbeit, ist unvorstellbar… Dagegen würde man vermutlich jeden noch so harten und gefährlichen Job in Deutschland mit Kusshand annehmen. Irgendwann wird wohl der Tag kommen, an dem entweder der Abbau im Cerro Rico verboten wird oder der ganze Berg wie ein Kartenhaus zusammenstürzt und viele Menschen unter sich begraben wird. Wir hoffen inständig auf Ersteres. Doch was auch passiert, es wäre ein schweres Schicksal für Potosi…

Wir hatten übrigens eine Nacht in Potosí verlängert, da es in der Stadt bunt hergehen soll aufgrund des Kirchenfeiertags der Heiligen drei Könige. Schon am Sonntagvormittag hatten wir viele gesehen, die ihr Jesus-Krippenkind zum Weihen mit in die Kirche nahmen. Nachdem wir uns nach Rückkehr in der Stadt der Minenausrüstung entledigt haben, entscheiden wir uns zu Fuss zum Hotel zurück zu gehen. Auf dem Weg treffen wir bereits eine feiernde Horde mit Musik, Tanz, Speis, Trank und vielen Blumen. Wir gönnen uns erstmal ein leckeres Bratenbrötchen und schauen als einzige Touristen dem Treiben eine Weile zu. Man bietet uns Chicha an und wir trinken alle aus dem gleichen Becher. Salut!

Als wir am Nachmittag nach langer und ausgiebiger Dusche und Rast das Hotel wieder in Richtung Hauptplatz verlassen, ist der ganze „Spuk“ leider schon vorbei und es wird bereits aufgeräumt. Da hätten wir doch etwas mehr erwartet. Egal, wir hätten nach dem anstrengenden Minenbesuch ohnehin heute keine Lust mehr gehabt in die nächste Stadt weiter zu fahren. So besichtigen wir doch noch die riesige Kathedrale, die am Vortag geschlossen war. Vom Kirchturm hat man einen tollen Blick über die Stadt und natürlich auch auf den Cerro Rico.

Wir finden etwas abseits des Zentrums einen Grillmeister, der eine Schweinehälfte nach der anderen vom Feuer holt. Für Takeaway oder zum dort essen die Locals kaufen Portionen für die ganze Familie. Da können wir natürlich nicht widerstehen und nehmen eine „kleine“ Portion knuspriges Chicharron mit. Der restliche Abend verläuft dann ganz entspannt, bevor wir am nächsten Morgen Richtung Sucre aufbrechen.

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